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Berliner Mietendeckel verfassungswidrig – Und nun?

Die unerwünschten Auswirkungen des Berliner Mietendeckels sind gravierend. Wir hatten auf unserer Website ein Fazit nach einem Jahr Mietendeckel gezogen und die Thematik aus verschiedenen Richtungen beschrieben (LINK).

Nachdem der Mietendeckel vom Bundesverfassungsgericht gekippt wurde, erreichten uns viele Fragen bzgl. der neuen Situation. Wir haben uns über Ihre Fragen mit Rechtsanwalt Nils Holger Bayer unterhalten.

Herr Bayer ist Rechtsanwalt in Berlin und Avocat à la Cour de Paris und berät französische Mandanten im deutschen sowie deutsche Mandanten im französischen Recht, insbesondere auch beim Erwerb und Verkauf von Immobilien.

L. Drewes:
Hallo Herr Bayer, ich freue mich über die Möglichkeit dieses Gesprächs. Können Sie uns kurz erläutern, wie sich die rechtliche Situation seit Inkrafttreten des Mietendeckels entwickelt hat?

N. H. Bayer:
Das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin „MietenWoG Bln“ und umgangs- sprachlich der „Berliner Mietendeckel“ ist am 23.02.2020 in Kraft getreten. Das Gesetz betraf ca. 1,5 Millionen Wohnungen in Berlin. Es begrenzte sowohl die zu vereinbarende Miethöhe zeitlich befristet als auch Erhöhungen. Erst ab dem Jahr 2022 hätten die Mieten wieder steigen dürfen und das gem. der Inflationsrate höchstens um 1,3 %. Ausweislich des Gesetzes sind Mieten für Berliner Wohnungen, die vor dem Jahr 2014 erbaut worden sind, im Februar 2020 auf dem Stand von Juni 2019 eingefroren worden. Auch bestand seit November 2020 die Pflicht, Mieten, die über 20 % oberhalb der im Mietendeckel bestimmten Grenzen lagen, abzusenken. Für den Fall der Zuwiderhandlung wurden Bußgelder bis zu EUR 500.000 vorgesehen. Der Mietendeckel galt nicht für neue Wohnungen, die von 2014 an fertiggestellt worden waren und war auf fünf Jahre befristet, also bis 2025.

Das Gesetz war politisch wie rechtlich hoch umstritten, sodass Mietern angeraten worden ist, für den Fall der Verfassungswidrigkeit des Mietdeckelgesetzes auf Nachzahlungsforderungen der Vermieter vorbereitet zu sein.

L. Drewes:
Obwohl der Mietendeckel für die meisten Experten von Anfang an verfassungswidrig war, ist es über ein Jahr lang in Kraft gewesen und hat für eine große Rechtsunsicherheit gesorgt – auf allen Seiten. Dies kann man auch daran erkennen, dass selbst die verantwortliche Politik den Mietern empfohlen hat, die einbehaltene Miete zu sparen und nicht auszugeben.

Aber wie hat nun das Bundesverfassungsgericht über den Mietendeckel entschieden?

N. H. Bayer:
Am 15. April 2021 hat das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit des Berliner Mietendeckelgesetzes mangels Gesetzgebungskompetenz des Landes Berlin festgestellt (Bundesverfassungsgerichtsbeschluss vom 15. April 2021 in Sachen – 2 BvF 1/20 – 2 BvL 4/20 – 2 BvL 5/20).
Grund hierfür ist, dass die Gesetzgebungskompetenzen in der föderalen Bundesrepublik nach dem Grundgesetz zwischen dem Bund und den Ländern aufgeteilt sind und Regelungen der Miethöhe nicht in die Kompetenz der Bundesländer fallen. Zuständig ist nach Art. 74 Abs. 1 Nummer 1 Grundgesetz vielmehr der Bund und dieser habe nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts von seiner Zuständigkeit im Bereich dieser konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit bereits abschließend Gebrauch gemacht, nämlich in den §§ 556 bis 561 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.

L. Drewes:
Damit hat also das Bundesverfassungsgericht das Berliner Gesetz gekippt, weil Berlin keine Gesetze bzgl. der Miethöhe machen darf, sondern nur der Bund. Das Bundesverfassungsgericht hat den Mietendeckel nun für nichtig erklärt. Was heißt das?

N. H. Bayer:
Diese Nichtigkeit bedeutet, dass der Mietendeckel als nichtexistent anzusehen ist. Daraus folgt rechtlich, dass sich die Wirkung der Nichtigkeit auch auf Zeiträume bezieht, die vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts liegen, da das Gesetz von Beginn an als unwirksam gilt.

L. Drewes:
Man muss also alles so betrachten, als wäre der Mietendeckel nie dagewesen. Das heißt auch, die Miete muss gezahlt werden, als hätte es den Mietendeckel nie gegeben?

N. H. Bayer:
Genau. Zu wenig bezahlte Miete muss für zurückliegende Zeiträume folglich berechnet und an den Vermieter gezahlt werden. Die Höhe dieser besteht aus der Differenz der Miethöhe, die sich aus dem BGB und jener, die sich aus dem Mietendeckel errechnet, ergibt.

L. Drewes:
Also gilt die Miete wieder, die in den Verträgen vereinbart wurde, die vor dem Mietendeckel abgeschlossen wurden. Die abgesenkte Miete muss vollständig für den gesamten Zeitraum zurückgezahlt werden. Aber was ist mit den Verträgen, die nach dem 23.02.2020 und gem. Mietendeckel abgeschlossen wurden?

N. H. Bayer:
In vielen Fällen hatten die Vertragsparteien die Eventualität der Verfassungswidrigkeit bereits zum Vertragsgegenstand gemacht. Mit der sogenannten Schattenmiete hatten die Parteien festgelegt, welche Miethöhe nach Mietvertrag gilt, falls der Mietendeckel für verfassungswidrig erklärt würde. In einem solchen Fall ergibt sich der Mietnachzahlungsbetrag folglich direkt aus dem Vertrag. Er ist ohne Weiteres ermittelbar und sofort zur Zahlung fällig.

L. Drewes:
Und wie sieht es mit Mieterhöhungen aus, die vertraglich vereinbart waren, aber nicht durchgeführt werden konnten? Also zum Beispiel bei Staffelmietverträgen?

N. H. Bayer:
Sind Mieterhöhungen zunächst vertraglich vorgesehen, aber infolge des Mietendeckels nicht umgesetzt worden, bestimmt sich der nunmehr rückwirkend wirksam gewordene Nachzahlungsbetrag aus der Differenz der gedeckelten Mietzinshöhe und jener, die der Erhöhung entsprechend zu zahlen gewesen wäre.

L. Drewes:
Also kann auch hier der Vertrag wieder rückwirkend geltend gemacht werden und der Mieter muss die Differenz zahlen, die er hätte zahlen müssen, wenn das Gesetz nie dagewesen wäre.

Wie bestimme ich denn derzeit eine Miete bzw. eine Erhöhung? Wir haben ja einen Mietspiegel, der nun wieder gültig ist. Allerdings läuft der Mietspiegel 2019 im Mai 2021 aus. Wie sieht es hier aus?

N. H. Bayer:
Was die aktuelle Mietzinsbestimmung anbelangt, verbleiben nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gegebenenfalls Unsicherheiten, da es das Land Berlin bislang unterlassen hat, den normalerweise alle zwei Jahre neu veröffentlichten Mietspiegel turnusmäßig anzupassen. Infolgedessen ist die Bestimmung einer Obergrenze der aktuell zulässigen Miethöhe bei Neuvermietungen und Mieterhöhungen erschwert.

Bis zu dessen Veröffentlichung und Inkrafttreten gilt bei Wiedervermietungen, dass die ortsübliche Vergleichsmiete ohne aktuellen qualifizierten Mietspiegel ermittelt werden muss. Der Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete bedarf es bei Wiedervermietungen deshalb, weil die Wiedervermietung von Wohnungen in Gebieten mit einem angespannten Wohnungsmarkt die ortsübliche Vergleichsmiete maximal um 10 % überschreiten darf.

Der auslaufende Mietspiegel von 2019 stellt insoweit eine Ermittlungshilfe dar. Zwecks Ermittlung der Vergleichsmiete hat der Mieter gegen den Vermieter zudem gemäß § 556 g Absatz. 3 BGB Anspruch darauf, dass ihm die zur Ermittlung notwendigen Informationen, die der Vermieter unschwer, also mit verhältnismäßigem Aufwand beschaffen kann, mitgeteilt werden. Dazu gehört etwa auch die Höhe der Vormiete.

Trotz alledem wird es den Mietvertragsparteien bis zur Geltung eines neuen qualifizierten Mietspiegels in etwa möglich sein, die Vergleichsmiete zu ermitteln. Zwischen Mai 2019 und Januar 2021 hat sich der Verbraucherpreisindex um etwa ein Prozent erhöht und in diese Richtung werden sich wohl die Vergleichsmieten bewegen. Das wäre für alle Vertragsparteien einfach zu berechnen.

Im Übrigen arbeitet Berlin am neuen Mietspiegel und es wird aktuell damit gerechnet, dass dieser Anschlussmietspiegel bereits im Mai vorliegen wird.

L. Drewes:
Somit können wir derzeit anhand des Mietspiegels 2019 die Mieten wieder berechnen und die Wohnung mit maximal 10 % über dem ermittelten Wert vermieten. Ob und wann genau der neue Mietspiegel inkraft tritt, ist unklar. Er soll jedenfalls um den Kaufpreisindex erhöht sein.

Klar ist, der Mietspiegel 2019 läuft Ende Mai aus.

N. H. Bayer:
Danach bleibt folglich alles beim Alten, d. h. die Rechtslage ist mit jener, die vor dem Mietendeckel galt, identisch. Lediglich die Vergleichsmiete wird um rund ein Prozent steigen.

Wer aufgrund des Mietendeckels keine Schattenmieterhöhungen im Mietvertrag ausgewiesen hat, wird seine Mietausfälle wegen unterlassener Mietzinserhöhungsvereinbarung seit Inkrafttreten des Mietendeckels allerdings nicht im Nachhinein vom Land Berlin oder vom Mieter erstattet erhalten können, da es ihm nicht verboten war, eine Schattenmiete zu vereinbaren. Waren bereits zuvor Mietzinserhöhungen vereinbart, kann sich der Vermieter hingegen darauf berufen.

L. Drewes:
Das bedeutet, dass nur vertraglich bereits Vereinbartes gilt. Wenn man sich schlicht an das Gesetz gehalten hat, als man den Vertrag abgeschlossen hat, kann dies nicht rückwirkend geändert werden. Was nicht vertraglich vereinbart wurde, kann nicht rückwirkend eingefordert werden.

N. H. Bayer:
Von der Rechtmäßigkeit des Berliner Mietendeckels konnte eigentlich zu keiner Zeit ernsthaft ausgegangen werden, da vergleichbare Mietendeckel in anderen Bundesländern mangels entsprechender Gesetzgebungskompetenz des jeweiligen Landes bereits für verfassungswidrig erklärt worden waren. Wer offenkundig rechtswidrige Gesetze verabschiedet, erzeugt auch keinen belastbaren Vertrauensschutz, der Schadenersatzansprüche generieren könnte. Staatshaftungsklagen dürften in diesem Zusammenhang kaum erfolgversprechend sein.

L. Drewes:
Verstehe. Was denken Sie, wie gestaltet sich die nahe Zukunft?

N. H. Bayer:
Rechtsunsicherheiten, die zwischenzeitlich Investoren gehemmt haben, sind nunmehr beseitigt und dürften für eine Wiederbelebung des Marktes sorgen. Günstige Mieten in besten Lagen fallen wohl erst einmal weg. Es bleibt dem Bundesgesetzgeber vorbehalten, noch einschneidendere Maßnahmen zu ergreifen, um weniger wohlhabenden Mietern auch weiterhin ein Leben in den Innenstädten zu ermöglichen. Das kann aber nur im Zusammenspiel mit der Landespolitik funktionieren, unabhängig von Rechtsfragen. Voraussetzung dafür ist eine zügige Genehmigung von Wohnungsbaugroßvorhaben, die Luxus-, Sozialwohnungen und solche mittlere Güte in Großprojekten miteinander verbinden. Auch hierfür stehen Investoren in Berlin Schlange. An dieser Stelle können die zuständigen Berliner Behörden durch zeitnahe Genehmigungen zur Entspannung des Wohnungsmarktes beitragen und alle Seiten werden profitieren. Bis dahin werden die Mieter weiterhin mit Mietpreiserhöhungen rechnen müssen.

L. Drewes:
Da haben Sie vollkommen recht. Es geht nur, wenn alle Beteiligten an einem Strang ziehen und die notwendigen Investoren agieren dürfen. Nun haben wir ein Superwahljahr in Deutschland und sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene (Berlin) wird eine neue Regierung gewählt. Wohnen ist bei diesen Wahlkämpfen ein zentrales Thema. Es bleibt abzuwarten, wie der Wähler sich entscheidet und welche Maßnahmen den Weg in einen Koalitionsvertrag finden.

Herr Bayer, ich bedanke mich für diese aufschlussreiche Unterhaltung. Unseren Kunden ist damit sicherlich sehr geholfen. Ich freue mich auf eine weitere gute Zusammenarbeit im Rahmen der Kaufprozesse unserer Kunden.